DIE SÖLDE

Entkernung und Grundsanierung des Gebäudes nach Erwerb durch die Gemeinde (1984).

Johann Seidl, der letzte männliche Bewohner des Wolfschneiderhofes, um ca. 1930.

Zustand des Gebäudes im Jahr 1983.

 

August Koch hat sich in seinen handschriftlichen Hofbeschreibungen auch dieses Anwesens angenommen. So schreibt er:

"Taufkirchen Hausnummer 11 genannt beim Wolfeschneider

Von der Sixtmühle nordwärts gelegen, und nur durch die Breite der Vizinalstraße von dieser getrennt, und mit der Stirnseite nach Winning gewendet, liegt das so genannte Wolfeschneider-Anwesen. Und alt ist sie diese „Hirwa“ (Herberge), daran ist kein Zweifel, viel älter als sie nach außen scheint. Weil das ehemalige Holzhaus schon längst mit einem so genannten „Rabitzverputz“ modernisiert worden war. Und zu allen Zeiten bis heute hat es immer Leute, viel Leute in der dürftigen Heimat gegeben, bei denen nicht selten der Schmalhans Küchenmeister und Lungenschwindsucht, Marasmus[1] und Krebs Begleiter zum Grabe waren. Söldner und halbe Bauern nannten die alten Pfarrherren die Bewohner dieses kleinen Anwesens."

Wie vielfach in Oberbayern üblich, war das Gebäude des Wolfschneiderhofes, das wohl aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts stammte, ein so genannter Einfirsthof in Ost-West-Richtung. Wobei das mit Holzschindeln gedeckte Dach nach Süden flacher war, um da-durch die Sonneneinstrahlung zu erhöhen und die Schneeschmelze zu fördern, während das Dach nach Norden steil abfiel, um dadurch das Abrutschen des Schnees zu ermöglichen. Dies war deshalb von Bedeutung, weil sich das Leben der Bewohner hauptsächlich auf der Südseite des Anwesens abspielte. So ist der Eingang des Wohnhauses und zum Stall auf der Südseite, was bedeutete, dass sich das Hais'l, die „Toilette“, der Misthaufen und die Odelgrubn dort befanden, aber auch der Bauerngarten und das Backhaus. Ledig-lich der Brunnen befand sich neben der Küchentüre auf der Nordseite des Hauses. 1923 wurde ein Grundstücksstreifen südlich des „Taufkirchner Straßl“, heute südlicher Ast der Eschenstraße, verkauft, um mit dem Erlös den Stall gemauert neu zu erstellen und auf der Westseite einen gemauerten Querbau nach Süden zu errichten, die so genannte Remise, deren gemauerter Teil ursprünglich auch ein Stall war.

Zur Familie der letzten Bewohner dieses Hauses schreibt August Koch: "Als am 29. Okto-ber 1805 der Josef Zistl im Alter von 51 Jahren gestorben war, heiratet seine Witwe, die Anna, geboren am 16. März 1761, am 3. Februar 1806 den Seidl Valentin, geboren zu Furth bei Oberhaching am 12. Februar 1767. Beim Lang hieß man es beim Haus.

Diese erste Seidlin starb schon 16. April 1807 im 46sten Lebensjahr. Dann nahm der Vater eine zweite Frau. Von ihren 4 Kindern interessiert hier nur der am 12. November 1809 geborene Josef, welcher in der Folge Wolfeschneider wurde. Er vermählte sich am 8. November 1835 mit der Maria Zimmermann, Bauerstochter zum Sattler in Westerham. Ich möchte hier einschalten, dass seit Menschengedenken auf dem Hause der Dienst eines Mesners und Gemeindedieners ruhte, mit einer ganz miserablen Bezahlung, sodass man sich bass wundern musste, dass die Familie diese Sklavenkette so lange trug. Da sind die Inhaber dieses Dienstes heutzutage die reinsten Großmogulen dagegen. Wenn ich verraten würde, was der Mesner für das Gebetläuten um 4 Uhr morgens, um 11 Uhr mittags und abends zwischen 5 und 9 Uhr je nach Jahreszeit bekommen hatte, man hielte mich für einen kompletten Narren. Um diesen „Lohn“ würde es heute keiner mehr machen, und wenn er in der Kirche wohnen könnte.

Nun starb der Vater (Valentin Seidl) am 19. Januar 1829 und zum Schluss die zweite eigene Mutter am 5. Juni 1842. Aus Josefs Ehe gingen hervor die am 28. November 1835 geborene Maria, die am 1. April 1838 geborene Anna, der am 1. Juli 1839 geborene Johann und der am 16. Juli 1842 geborene Jakob.

Bis auf den Johann blieben alle ledig. Dieser aber ging am 28. Januar 1873 mit der am 11. Juni 1845 geborenen Hojacktochter von Bergham, Ursula Hinterholzer, den Bund fürs Leben ein. Seine Mutter war inzwischen schon gestorben, nämlich am 2. April 1861, wäh-rend sein Vater, der 75-jährig erst am 22. März 1884 starb, seine Enkelkinder noch erlebte. Denn dem Hans und der Urschl wurden 7 Kinder geboren, von denen aber nur 3 am Leben blieben. So die am 25. Mai 1865 geborene Therese, die am 26. August 1875 geborene Marie und der am 13. August 1877 geborene Johann. Alle drei blieben ledig. Ihr Vater starb relativ früh, nämlich am 24. August 1895, kaum 65 Jahre alt. Die Mutter folgte ihrem Mann erst am 24. Oktober 1916, immerhin 71 Jahre alt."

Von den 3 ledigen Geschwistern hatte eine der Töchter ein lediges Kind, die Anna, die, so unerwünscht sie auch war, am 5. November 1900 das Licht der Welt erblickte, die letzte Bewohnerin des Wolfeschneiderhofes war und am 7. April 1982 in Folge eines Verkehrs-unfalles ihr Leben ließ. Die letzten 20 Jahre hatte sie allein auf dem „Sachl“ zugebracht, umgeben von ihren Hühnern und Katzen, da ihr Onkel Johann Seidl am 13. Januar 1962 verstorben war. Seine Schwestern waren schon vor ihm verstorben, so die Therese am 20. Mai 1932 und die Marie am 31. August 1954.

Der Wolfschneiderhof war immer schon eine so genannte Sölde, also ein 1/8-Hof. Das beweist ein Katasterauszug aus dem Jahr 1853/54, in dem die Größe des Hofes mit 22,85 Tagwerk angegeben ist. Dabei entfielen auf die Hoffläche 0,41 Tagwerk, auf die Äcker 9,96 Tagwerk, auf die Wiesen 0,86 Tagwerk und die Waldflächen 11,62 Tagwerk. Das bedeutet, dass nicht einmal die Hälfte des Grundbesitzes der Nahrungsmittelproduktion diente. Durch die Ausweisung von Bauland am Taufkirchner Straßl, dem heutigen südlichen Ast der Eschenstraße, schrumpfte der Grundbesitz auf ca. 17 Tagwerk, wie eine Aufstellung der Gemeinde Taufkirchen vom 27. April 1919 zeigt, als „Zur Senkung der Auslagen die Ortsgemeinde Taufkirchen pro Tagwerk 30 Pfg. einhebt“, also eine Art Sondergrundsteuer erhob.

Ein normaler Arbeitstag (Montag – Samstag) war geprägt von Arbeit, an der die ganze Familie, auch die Kinder beteiligt waren. Feierabend war um 6 Uhr abends. Dann wurde gegessen, danach konnten die Kinder ihre schulischen Hausaufgaben machen, die Frauen flickten oder strickten, man unterhielt sich, auch über die am nächsten Tag anstehende Arbeit und ging gegen 10 Uhr im Sommer, gegen 9 Uhr im Winter zu Bett. Im Winter wurde oft bereits ab 4 Uhr früh gemeinsam gedroschen, um 6 Uhr gabs eine Millisupp'n, dann gingen die Kinder zur Kirche, waren um 8 Uhr in der Schule, die mit einer Mittagspause oft bis 3 Uhr nachmittags dauerte. Dann wurden sie bereits sehnlichst erwartet, um bei der Arbeit zu helfen. Dennoch war man oft noch auf einen Nebenverdienst angewiesen.

Ein Ratsprotokoll aus dem Rechnungsjahr 1858/59 zeigt uns, dass der junge Johann Seidl vom Wolfscneiderhof als Gemeindediener und Nachtwächter eine jährliche Vergütung von 57 Gulden 30 Heller erhalten hat. Dazu kamen noch 6 Gulden für Holzhacken für die Schule. Zusätzlich waren die Seidl's auch noch Mesner, was ihren Verdienst aber nur unwesentlich erhöhte.

[1] Marasmus ist allgemeiner Kräfteverfall, verbunden mit starker Abmagerung, meist durch Unterernährung

Entnommen: Erinnerungen des ehemaligen Gemeindeheimatpflegers Peter Seebauer.

Michael Müller, Gemeindeheimatpfleger, Dezember 2021

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